Presse­mit­teilung vom 01.03.2024

Es bleibt keine Zeit mehr – darüber sind sich alle einig. Finan­zielle Reserven sind oftmals aufge­braucht, Privat­ver­mögen wird zum Bezahlen der Löhne verwendet. Das Ende des eigenen Betriebs vor Augen, machen sich Unter­nehmer der Pflege­branche Luft beim Runden Tisch in Wuppertal.

Ernste Gespräch am runden Tisch. In der Mitte Michale Wessel – © Pflege Wessel

Michael Wessel, Inhaber Pflege Wessel, hatte einge­laden – und diesmal kamen sie, die Mitbe­werber. Sie alle warfen Konkur­renz­denken und Stolz über Bord, zeigten statt­dessen Einigkeit. Denn die privat geführten ambulanten Pflege­dienste eint seit mehr als einem Jahr der Kampf ums geschäft­liche Überleben. Und das nach teilweise 30 oder 40 Jahren Selbst­stän­digkeit. Der Tenor: Es geht nur gemeinsam. Und nur mit erheb­lichem Druck auf die Politik.

23 Unter­nehmer aus Hessen, Aachen, Münster sowie dem Wupper­taler und Mettmanner Gebiet saßen an runden Tischen, dazu ein Vertreter des bpa, des Bundes­ver­bandes privater Anbieter sozialer Dienste. Der bpa ist einer der großen Verbände, zählt bundesweit rund 13 000 Mitglieder, etwa 2.300 allein in NRW.

„Wo waren Sie, als wir im Sommer 2022 davor gewarnt haben, dass die Tarif­pflicht Unter­nehmen in die Insolvenz treiben würde?“, fragte Michael Wessel den bpa-Vertreter David Schulz. In die Insolvenz deshalb, weil der Deckel der Pflege­grade seitdem immer noch nicht angehoben wurde, wohl aber Einzel­leis­tungen nun teurer sind.

Auf Kosten der Pflege­be­dürf­tigen

Das geht auf Kosten der Pflege­be­dürf­tigen, denn es können nun entweder weniger Leistungen erbracht werden, oder die Pflege­dienste zahlen drauf. „Und das geschieht überall“, sagt Knut Damerow, Lebensplus GmbH in Aachen. „Wir machen unsere Arbeit mit Herzblut für die Pflege­emp­fänger, wir können sie doch nicht allein lassen!“

Gemeinsam mit der Cura Ambulante Pflege­dienste GmbH in Aachen hatten die Unter­nehmen am 21. Februar bereits einen Protesttag auf die Straße gebracht, der Runde Tisch in Wuppertal ist ein willkom­menes Vernet­zungs­treffen. „Wir müssen mehr werden und schnellst­möglich zum Landtag Düsseldorf und nach Berlin“, so der Tenor der Anwesenden.

Auch die Bevöl­kerung müsse wachge­rüttelt werden. Doch weder Pflege­be­dürftige noch pflegende Angehörige seien auf die Straße zu bewegen. „Wenn sie nicht zu uns kommen können, gehen wir zu ihnen“, sagt Norbert Vongehr, Cura Aachen. Mit ihrer Aktion, kurze Videos zu drehen, haben sie mitten ins Herz getroffen. „Wir haben Pflege­be­dürftige gefragt, was sie tun werden, wenn demnächst kein ambulanter Dienst mehr zu ihnen kommt. Die Antworten haben uns zum Weinen gebracht“, so Vongehr.

Michael Wessel (M.) richtet die Worte an seine Kolle­ginnen und Kollegen – © Pflege Wessel

Denn in den meisten Fällen haben diese Menschen keine Kinder oder Freunde, die ihre Pflege übernehmen können. Also wünschen sie sich einen schnellen Tod. „Wir haben jetzt schon Pflege­emp­fänger, die auf das Waschen verzichten und statt­dessen das Geld fürs Essen brauchen.“

Alle Anwesenden erzählen das Gleiche: Dringend notwendige Leistungen der Körper­pflege werden nicht in Anspruch genommen, weil die Betrof­fenen das Pflegegeld für Nahrungs­mittel benötigen. Ein erschre­ckendes Signal. „Die Politik verfolgt offenbar nur ein Ziel: ambulante Pflege­dienste abzuschaffen“, so Damerow.

„Wir stehen politisch vor dem Problem, dass in den restlichen anderthalb Jahren dieser Legis­la­tur­pe­riode niemand mehr das Thema aufgreift. Da wird sich im begin­nenden Wahlkampf nur um sich selbst und den eigenen Posten­erhalt gekümmert“, sagt Michael Wessel. „Und unter­neh­me­risch vor dem Problem, dass die meisten von uns keine anderthalb Jahre mehr haben.“

Harte Worte, Pflege Wessel zählt mehr als 250 Mitar­beiter. Kranken­kassen zahlen zum Teil erst nach Monaten, statt wie vertraglich vereinbart nach 14 Tagen – für alle Unter­nehmen eine nicht mehr zu stemmende finan­zielle Belastung. „Wir mussten zwölf Monate auf eine Zahlung vom LVR in Höhe von 1,2 Millionen Euro warten“, ergänzt Wessel.

Frust hängt bleischwer im Raum

Frust hängt bleischwer im Raum, viele haben die Konse­quenzen längst zu Ende gedacht. Daraus erwächst im Moment noch Taten­drang statt Resignation. Neben dem wichtigsten Punkt der Vernetzung mit zahlreichen weiteren Pflege­diensten, hat die Runde einen Forde­rungs­ka­talog erstellt, der an Landes- und Bundes­re­gierung geschickt wird. Denn „Geld ist genug da, es muss nur anders verteilt werden“, so Wessel.

Statt Steuergeld ins Ausland zu schicken, müsse ein fester Zuschuss in die Pflege­kasse gezahlt werden, um die Arbeit ambulanter Dienste auskömmlich zu refinan­zieren. Zudem müsse gelten: gleiche Arbeit, gleicher Verdienst. „Wenn ich Tarife zahle, brauche ich auch den Punktwert der Caritas“, sagt Thomas Mosel, Comfort Pflege Ostviertel in Münster.

Sprich, die Leistungen müssen gleicher­maßen vergütet werden. Und: Wer nicht selbst ausbildet, soll sich an den Kosten betei­ligen. Denn ambulante Dienste zahlen bei Auszu­bil­denden immense Summen drauf, dagegen bilden weder das Land noch die Perso­nal­dienst­leister aus – die dann aber im Anschluss profi­tieren.

„Zeitarbeit ist Ausbeutung. Den Pflege­kräften gönn‘ ich alles Geld der Welt, aber ich kann dafür nicht an das Altersgeld meiner Patienten gehen“, sagt Damerow. Viele weitere Forde­rungen stehen auf der Liste, doch dass dies zunächst nichts ändert, ist allen bewusst. „Es geht nur auf der Straße – und allen muss das klar sein.“