Am 1. September 2022 tritt die Tarifpflicht in der Pflege in Kraft, doch es gibt mehr
Fragen als Antworten. Unter dem Strich könnte sie das Aus vieler privat geführter
Pflegedienste in den kommenden Monaten bedeuten.
Wuppertal, 30. August 2022. „Als wir von der Tarifpflicht erfahren haben, waren wir zunächst erleichtert. Denn
darin haben wir zwei Vorteile gesehen: Erstens bekommen Pflegekräfte eine bessere
Bezahlung und zweitens gibt es mehr Transparenz, wenn jeder Arbeitgeber das
gleiche zahlen muss“, sagt Michael Wessel, Inhaber Pflegedienst Wessel in
Wuppertal. „Damit wäre der finanzielle Anreiz, ein Unternehmen zu wechseln, nicht
mehr gegeben und die Job-Fluktuation in der Branche nähme ab.“ Vielmehr träten
dann Auswahlkriterien wie Arbeits- und Freizeit, Fortbildungs- und
Karrieremöglichkeiten sowie zusätzliche Angebote stärker in den Vordergrund.
Zudem hieß es bei Ankündigung der Tarifpflicht, dass die Refinanzierung gesichert
sei. „Darauf haben wir uns natürlich verlassen“, sagt Wessel. Zum 1. September
2022 tritt die Tarifpflicht in Kraft – doch seit gut sieben Monaten gibt es mehr Fragen
und Sorgen, als Antworten und Optimismus. Denn von einer Refinanzierung kann
keine Rede sein und es herrscht Chaos, welchem Tarif sich welches Unternehmen
anschließen sollte. Allein NRW stellt 16 Tarife zur Auswahl. Seit Monaten befasst
sich ein extra gebildetes Team bei Pflege Wessel mit der Berechnung, welcher der
passende für die rund 200 Mitarbeitenden sein könnte. Denn das kann bei jedem
Unternehmen ein anderer sein: „Es kommt auf die Struktur an. Ist es ausschließlich
ein ambulanter Fahrdienst, sind es Wohngemeinschaften oder wie in unserem Fall
eine Mischung aus beidem mit zusätzlicher 24-Stunden-Betreuung von Patienten in
ihrem eigenen Zuhause.“
Am Ende aller Berechnungen steht fest: Für Pflege Wessel bedeutet es 20 bis knapp
30 Prozent mehr Lohnkosten in Höhe von 60.000 bis 70.000 Euro pro Monat. Das
Problem dabei: Der maximal von der Pflegekasse zur Verfügung stehende Betrag,
der pro Pflegegrad an den Patienten gezahlt wird, bleibt unverändert. Der
Kostendeckel ist starr. Lediglich für die einzelnen Leistungen, die eine Pflegekraft am
Patienten erbringt – beispielsweise für Waschen oder Duschen, Hilfe beim Anziehen
oder auf der Toilette – kann nun ein etwas höherer Betrag abgerechnet werden.
Doch das verschärft das Problem weiter: Wenn auch noch die Leistung teurer wird
und die Pflegekraft mehr Lohn bekommt, ist der Deckel des Pflegegrades umso
schneller erreicht. „Am Ende leidet vor allem der Pflegebedürftige unter der Situation.
Wurde er bislang beispielsweise täglich vom Pflegedienst versorgt, ist dieselbe
Leistung entweder jetzt nur noch dreimal pro Woche möglich, oder der Betroffene
muss privat draufzahlen.“ Das können aber die wenigsten, also bleibt nur der Antrag
beim Sozialhilfeträger auf Kostenübernahme. Und das im hohen Alter und mit
gesundheitlichen Einschränkungen. „Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben,
werden im Alter von über 80 Jahren jetzt plötzlich zu Sozialfällen. Das ist
erschreckend“, so Wessel. „Und was noch schlimmer ist: Pflegedienste werden
künftig nicht mehr anhand ärztlicher Diagnosen und Versorgungsmöglichkeiten
entscheiden, einen Patienten anzunehmen oder nicht, sondern anhand seiner
Vermögenswerte.“
Laut Michael Wessel müsse hier dringend nachgebessert werden, denn sonst
bedeutet dies das Aus für viele Pflegedienste in den kommenden Monaten –
bundesweit.
Über Pflege Wessel:
Seit 26 Jahren sind die Versorgung, Pflege und die Betreuung von Menschen in ihren eigenen vier Wänden Mission, Kerngeschäft und Expertise des rund 200 Mitarbeiter starken Unternehmens. Pflege Wessel mit Standorten in Wuppertal, Haan und Velbert besteht derzeit aus drei Einrichtungen zum betreuten Wohnen für Personen mit Demenz-Erkrankungen, zwei Einrichtungen zum Service-Wohnen sowie aus dem ambulanten Dienst. Ergänzt wird das Angebot durch das ambulant betreute Wohnen für Menschen mit geistigen sowie teils schweren körperlichen Beeinträchtigungen und durch eine 24-Stunden-Betreuung von Einzelpersonen im eigenen Zuhause. Die Aufgabe: Menschen in ihrer spezifischen Lebenssituation Teilhabe zu ermöglichen und ein liebevolles und behütetes Zuhause zu geben.
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