Jahrzehnte lang dämmerte die Pflegebranche im Dornröschenschlaf. Nahm Beschlüsse, Gesetzesreformen und zuletzt auch die Tarifpflicht ohne Protest hin. Zu unbeweglich, zu statisch und unfähig, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Wer frühzeitig vor Schieflagen gewarnt hatte, blieb allein auf weiter Flur.
Zu groß der Konkurrenzgedanke, zu gering das Verständnis, im selben Boot zu sitzen. Das ändert sich jetzt, und zwar schlagartig. Denn viele privat geführte ambulante Pflegedienstleister stehen vor der Pleite.
Mehr als 800 Insolvenzen und Geschäftsaufgaben im Jahr 2023, Tendenz: anhaltend. Ein Aufwachprogramm wie mit dem Vorschlaghammer für die Unternehmer. Sie sehen ihr Lebenswerk gefährdet und bündeln ihre Energien in gemeinsamen Kampagnen und einem Brandbrief an die Landes- und Bundespolitik.
„Pflege am Limit!“ heißt die Kampagne, die Michael Wessel, Inhaber Pflege Wessel in Wuppertal, im März dieses Jahres ins Leben gerufen hat. Mit der Webseite www.pflege-am-limit.de macht das Unternehmen mit plakativen, emotionalen Bildern und Zitaten von Pflegebedürftigen und Pflegekräften darauf aufmerksam, was passiert, wenn demnächst der Ambulante Pflegedienst nicht mehr da ist.
Die Kampagne rüttelt auf: vor allem pflegende Angehörige, die vielleicht bald ganz ohne ambulanten Pflegedienst auskommen müssen. „Wir wollen die Öffentlichkeit wachrütteln und darüber informieren, dass die Pflege mit immer höheren Kosten konfrontiert ist, die nicht mehr finanzierbar sind“, sagt Wessel.
Neben einem Ambulanten Pflegedienst betreibt Wessel unter anderem Ambulant betreute Wohngemeinschaften für Demenzkranke. „Auch die Kostenspirale für Pflegebedürftige ist viel zu weit nach oben gedreht worden, so dass fast jeder im Alter zum Sozialhilfeempfänger wird.“
Aber nicht nur das. Beim zweiten Runden Tisch der Pflege, der am 18. April in Wuppertal stattfand, war die Rückmeldung der anwesenden Unternehmer erschreckend. „Wir müssen bereits Patienten ablehnen, weil wir mit Anfahrt und Leistungserbringung so lange beschäftigt wären, dass wir am Ende drauf zahlen“, sagt Knut Damerow, Lebensplus GmbH Aachen.
Im ländlichen Gebiet sprechen die Unternehmen nicht mehr von Leistungseinschränkung, sondern von Versorgungslücken. „Wir können viele hilfebedürftige Patienten nicht mehr versorgen.“ Auch Claudia Weber, Cura Köln, lehnt reihenweise Anfragen ab, um ihr Unternehmen nicht in den Ruin zu treiben: „Wir berechnen bei jedem Patienten, ob er sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnt. Schlimm, was aus der Pflege geworden ist, aber anders geht es nicht.“
Informationen zur Kampagne, Termine und Unterstützer unter: www.pflege-am-limit.de
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