“erschienen in “Häusliche Pflege”, Januar 2024

Herr Wessel, zum Start ins Jahr 2024: Wie hoch ist auf einer Skala von 1 bis 10 Ihr derzei­tiger Stress­pegel?

“Mein Stress­pegel liegt zwischen 6 und 7, denn das neue Jahr hat ja nicht gerade mit positiven Nachrichten für die Pflege­branche begonnen. Ganz im Gegenteil, der Druck erhöht sich bei den Finanzen permanent. Das bereitet mir als Unter­nehmer natürlich Sorgen, noch mehr zu tun, um unseren Betrieb auf Kurs zu halten. Aller­dings sei hier auch ganz klar gesagt, dass wir die meisten Dinge gar nicht in der Hand haben. Vielmehr legt die Politik uns immer größere Steine in den Weg.”

Was wünschen Sie sich von der Politik?

“Vor allem, dass die finan­zielle Mehrbe­lastung in der Pflege durch Tarif­löhne endlich auskömmlich refinan­ziert wird. Wir zahlen gern höhere Gehälter an unsere Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter, aber die Refinan­zierung ist immer noch nicht gesichert, was unter anderem ein Grund für mehr als 500 Insol­venzen der Branche im Jahr 2023 war. Die Politik sollte sich klar zu den privaten Dienst­leistern bekennen, anstatt weiter den Eindruck zu vermitteln, dass die privaten Träger in diesem Land überflüssig seien. Unsere Branche benötigt jetzt gemeinsame Aktionen, die der Politik und der Bevöl­kerung zeigen, dass sich die Kosten­spirale nicht mehr weiter­drehen kann. Das derzeitige System lähmt jeden Arbeit­geber, bis er mit dem Rücken zur Wand steht. Dazu gehört auch, die Perso­nal­dienst­leister finan­ziell zu deckeln.

Wenn Arbeitnehmer:innen dort mehr verdienen als im Unter­nehmen selbst, und dies dann zusätzlich den Dienst­leister bezahlt, ist das völlig absurd.

Und ich wünsche mir eine Politik, die endlich die überbor­dende Bürokratie in unserer Branche abbaut. Der Aufwand für Dokumen­tation und Verwaltung steht in keiner Relation mehr zur eigent­lichen Pflege und basiert auf einem generellen Misstrauen der Politik gegenüber der Pflege­branche.”

Es sollte wieder mehr um Menschen gehen,
nicht um Kosten!

Michael Wessel

Wenn Sie die Pflegewelt verändern könnten, womit fangen Sie an?

“Ich würde zuerst die Bürokratie abschaffen, die extrem zeitin­tensiv ist.
Zeit, die vor allem den Patienten zugute kommen muss. Und ich würde die Spirale auf reale Kosten für Unter­kunft, Leistungen und Löhne zurück­drehen.

Denn es darf nicht normal sein, dass beinahe jeder Pflege­be­dürftige zum Sozial­hil­fe­emp­fänger wird, weil kaum jemand die Unter­bringung in einer Einrichtung selbst bezahlen kann.”

Was ist das Besondere an Ihrem Pflege­un­ter­nehmen und worauf sind Sie stolz?

“Das Besondere an unserem Unter­nehmen ist, dass es Pflege, Betreuung und Assistenz aus einer Hand anbietet. Damit decken wir den gesamten Bedarf an pflege­ri­schen, betreu­enden und unter­stüt­zenden Leistungen ab.

Stolz bin ich vor allem auf die Teams in unseren Wohnge­mein­schaften für Demenz­er­krankte und in den selbst­be­stimmten Wohngruppen für behin­derte junge Menschen. Zusammen mit den Teams der 24-Stunden-Assistenzen, der Verhin­de­rungs­pflege und dem ambulanten Fahrdienst werden viele innovative Ideen umgesetzt. Kreati­vität, die Pflege immer wieder neu und anders zu denken, ist bei uns Alltag.”

Welches ist Ihr wichtigstes persön­liches Ziel in den nächsten Jahren?

“Als Unter­nehmer weiterhin die Branche mitzu­ge­stalten. Mit innova­tiven Konzepten und vor allem Empathie und Mensch­lichkeit.”

Zum Schluss die Frage: Was wünschen Sie sich von der Pflege?

“Dass ein Ruck durch die Branche geht und Unter­nehmer ein deutliches Leichen an die Politik senden. Dass bürokra­tische Hürden abgeschafft werden und wieder der gesunde Menschen­ver­stand regiert. Und dass es um Menschen geht, nicht um Kosten.”